Ramp One: Herr Nehm, die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die hiesige Wirtschaft sind schon jetzt spürbar. Was für Folgen erwarten Sie in Bezug auf Logistikimmobilien?
Alexander Nehm: Tatsächlich erwarte ich langfristige, einschneidende Veränderungen bei Logistikimmobilien. Erstens sind die internationalen Lieferketten nun wiederholt unterbrochen. Auch die Pandemie hat hier zunächst bei vielen Unternehmen zu einem Umdenken in Bezug auf die jeweilige Standortstrategie geführt, um die Versorgungssicherheit der Supply Chains sicherzustellen.
Dazu gibt es auch eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey …
Richtig. Ergebnis: Die befragten Unternehmen haben bisher deutlich weniger in die Resilienz ihrer Lieferketten investiert als zu Beginn der Pandemie geplant. Anstatt Nearshoring in Bezug auf das Zulieferernetzwerk oder die Produktion zu betreiben, werden vor allem Lagerbestände aufgestockt.
Interview
von Tim-Oliver Frische
Was hat das mit der aktuellen Lage in der Ukraine zu tun?
Der dementsprechende Bedarf an zusätzlichen Lagerflächen wird durch den Krieg noch einmal verstärkt. Zumal die langfristigen Auswirkungen noch gar nicht abzusehen sind. Und der zweite Effekt ist, um meine Aufzählung fortzuführen, ist das zu erwartende Streben Deutschlands und Europas nach der notwendig gewordenen Energieautonomie. Dies dürfte in meinen Augen noch deutlich drastischere Veränderungen für die Logistikimmobilienbranche nach sich ziehen. Die bereits vor dem Krieg in der Ukraine begonnene Energiewende wird in den kommenden Jahren massiv an Fahrt aufnehmen.
In jüngerer Vergangenheit sind eine ganze Reihe CO2-armer oder gar -neutraler Logistikprojekte entwickelt worden. Sind diese „neuen“, nachhaltigen Logistikimmobilien für diese Energiewende überhaupt vorbereitet?
Tatsächlich tauchen immer häufiger neue Vorzeigeobjekte in Sachen Nachhaltigkeit und Ökologie auf. Das ist gut und im Grunde auch längst überfällig. Allerdings sehe ich hier einen Paradigmenwechsel. Der Krieg beschleunigt die Energiewende in besonderer Weise. Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Robert Habeck, hat bereits gleich zu Beginn der Angriffe Russlands auf die Ukraine angekündigt, dass der einzige mittel- und langfriste Ausweg aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus dem Ausland sei, energiepolitisch unabhängig zu werden. „Der wirkliche Weg zu energiepolitischen Unabhängigkeit ist der Ausstieg aus den fossilen Energien. Die Sonne und der Wind gehören eben niemandem“, sagte der Vizekanzler bereits Ende Februar. Um die Frage dementsprechend zu beantworten: Viele moderne nachhaltige Logistikimmobilien sind mittlerweile konzipiert, um CO2 einzusparen. Eine ordentliche CO2-Bilanz ist dabei aber auch bspw. durch Ausgleichmaßnahmen erreichbar. Natürlich spielt auch die eigenständige Energiegewinnung eine wichtige Rolle, ist aber bisher nicht zwangsläufig die primäre Zielsetzung.
Auch Christian Lindner spricht bereits von „Freiheitsenergien“. Die Energiewende an sich ist ja nicht neu.
Das stimmt. Sie war bereits im Koalitionsvertrag ein Kernstück der neuen Regierung. Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus Wind-, Wasser- und Solaranlagen, also durch nichtfossile Energiegewinnung kommen. Dieser Prozess wird durch die aktuellen dramatischen Entwicklungen sehr wahrscheinlich erheblich forciert. So will die Bundesregierung beispielsweise die Gebäudeeffizienz schneller erhöhen und ab 2025 Wärmepumpen zur Regel und Photovoltaik verpflichtend machen. Weitere Weichenstellungen, Förderpakete und politische Rahmenwerke sind diesbezüglich zeitnah zu erwarten.
Was bedeutet das konkret für den deutschen Markt der Logistikimmobilien?
Dass künftig das Thema Energieautonomie das Thema CO2-Neutralität überlagern wird. Der Fokus verschiebt sich wohlmöglich vom Ziel der CO2-Reduzierung hin zur autarken Energiegewinnung. Zur Erklärung: Im Moment ist die Situation so, dass eine CO2-neutrale Immobilie nicht automatisch energieautark ist. Eine energieautarke Logistikimmobilie ist allerdings auf jeden Fall CO2-neutral. Hier sehe ich den entscheidenden Unterschied für die Zukunft. Energieautonomie bedeutet dementsprechend auf alle fossilen Brennstoffe zu verzichten und im Idealfall sowohl Strom als auch Wärme eigenständig zu produzieren.
Welche Chancen und Risiken sehen sie aufgrund dieser Entwicklung für Nutzer, Entwickler, Investoren aber auch Kommunen?
Gerade Entwickler tun sich erfahrungsgemäß schwer Alleinstellungsmerkmale für Nutzer aber auch Kommunen aufzuzeigen. Die Hersteller von Logistikimmobilien, die sich bereits intensiv mit dem Thema „autarke Energiegewinnung“ beschäftigen, sind gut beraten diese Expertise weiter auszubauen. Investoren beschäftigen sich gemäß ihrer Aufgabe mit zukünftigen Entwicklungen. Sie kaufen folglich Produkte, die auch noch in weiter Zukunft wettbewerbsfähig sind. Die Dynamik der Umsetzung von ESG-Kriterien ist zum Beispiel genau darauf zurückzuführen. Dementsprechend wird auch hier eine Nachfrage nach energieautonomen Logistikimmobilien kommen.
Weitergedacht: Was wäre die Folge, wenn es künftig gelingen sollte, Logistikimmobilien als Energielieferanten zu entwickeln?
Das würde dieser Assetklasse bei der Akzeptanz in Kommunen völlig neue Chancen eröffnen.
Und daran fehlt es ja bekanntermaßen…
Besonders, wenn es um die Zustimmung bei Kommunen im Wettbewerb um Ansiedlungsflächen geht. Daran haben auch die Bemühungen hinsichtlich nachhaltiger Bauweise bisher nur wenig geändert. Logistikimmobilien, die durch die Gewinnung nichtfossiler Energie gegebenenfalls zur Energieautonomie beitragen, würden künftig deutlich mehr Gehör finden. Und aus meiner Sicht ist es nicht auszuschließen, dass Projekte, die in der Lage sind als „kleines Kraftwerk“ sogar überschüssige Energie in das Stromnetz einzuspeisen, in der einen oder anderen Kommune sogar Begehrlichkeiten wecken.
Über welches Flächenpotenzial sprechen wir?
Zu meiner Zeit bei der Fraunhofer SCS haben wir vor Jahren den Bestand von Logistikimmobilien in Deutschland erstmals geschätzt und sind dabei zu einem Ergebnis von weit mehr 300 Millionen Quadratmetern gekommen. Mittlerweile wächst der Markt jährlich um etwa 4-5 Millionen Quadratmeter. Das heißt, alleine in den vergangenen 10 Jahren sind etwa 45 Mio. Quadratmeter zusätzlich entstanden.
…Flächen, die man ja wunderbar für Solarenergie nutzen kann…
Darauf wollte ich hinaus! Das Potential an Flächen zum Einsatz von Photovoltaikanlagen ist folglich immer noch riesig. Weitere Maßnahmen, die allerdings noch nicht standardisiert und auch nicht überall umsetzbar sind, sind Wärmepumpen, Geothermie oder Bio-Blockheizkraftwerke. In den Niederlanden gibt es bereits Logistikimmobilien, die ein eigenes Windrad auf dem Gelände betreiben. Bisher ist aus meiner Sicht die gedrosselte Energiewende aber weniger auf einen Mangel an Maßnahmemöglichkeiten zurückzuführen, sondern eher auf den fehlenden Leidensdruck der Unternehmen. Dies wird sich nun ändern. Noch sind die Investitionskosten für derlei Maßnahmen noch vergleichsweise hoch, zudem fehlen breite Erfahrungswerte. Der Markt wird sich aus meiner Sicht hier aber rasch anpassen.
Gibt es bereits Logistikimmobilien, die Energie produzieren oder gar überproduzieren können oder könnten? Welche Anlage hätte das Potenzial dazu?
Da fällt mir spontan das im Bau befindliche Projekt der E-Gruppe im Niedersachsenpark ein (siehe Kasten, Anm. d. Red.). Aufgefallen sind mir zudem die Projekte von Puma/Dietz in Geiselwind, Levis/Delta in Dorsten, BLG/Baytree mit dem C3 in Bremen, L’Oréal/Prologis in Muggensturm oder Rhenus/Beos in Wesel. Mit Sicherheit gibt es noch einige ähnliche Projekte. Welches der aufgezählten Projekte nun tatsächlich in der Lage ist oder wäre, Energie zu (über-)produzieren, wäre eine Aufgabe für Sie, denn sie müsste individuell erfragt werden.
Zum Abschluss: Die Logistikbranche als Ganzes steht durch die Energiewende vor ganz besonderen Herausforderungen. Welchen Beitrag können Logistikimmobilien vor dem Hintergrund Ihrer beschriebenen Entwicklungen leisten?
Die gesamte Branche, aber vor allem die verbrauchslastigen Assets der Logistikbranche müssen ab sofort in Bezug auf fossile Energieträger noch stärker haushalten beziehungsweise sparen. Der aktuelle Dieselpreis gibt im Transportbereich diesbezüglich ja bereits einen Vorgeschmack.
Die Logistikimmobilie ist in der gesamten Supply Chain in der Lage perspektivisch nicht nur dem Energieverbrauch zu vermeiden, sondern einen eigenen Beitrag zur Energieautonomie beizutragen. Dadurch käme der Logistikimmobilie ein völlig neuer Stellenwert zu.
Ideen-Kraftwerk
Sonne zu Strom und Strom zu grünem Wasserstoff machen: Auf den Dächern drei neuer Logistikhallen im Niedersachsenpark Rieste sind Photovoltaikanlagen von bis zu 55.000 Quadratmetern und einer Leistung von ca. 8 Megawatt geplant. Mieter können so Strom aus gebäudeeigenen erneuerbaren Energien beziehen. Zugleich soll der überschüssige Strom aus der PV-Anlage für die Gewinnung von grünem Wasserstoff genutzt werden. Das Projekt wird von der E-Gruppe als Investor und GSE Deutschland als GÜ realisiert. Die ökonomische Nachhaltigkeit bei der Gewinnung und Nutzung von Energie aus H2 wurde zuvor vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT geprüft.