Ein Ramp-One-Interview von Tim-Oliver Frische, Leitender Redakteur der DVV Media Group GmbH, mit Prof. Alexander Nehm, Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mannheim.
Ramp One: Herr Nehm, Sie sind weiterhin aufmerksamer Beobachter der Logistikimmobilienbranche und gern gesehener Gast in Diskussionsrunden. Als Professor an der DHBW Mannheim ist Ihre Expertise gefragt. Mal Hand aufs Herz: Steuern wir auf eine Logistikimmobilienblase zu?
Alexander Nehm: Zunächst ist ja festzuhalten, dass sich die Logistikimmobilie als vergleichsweise junge Assetklasse in den vergangenen 15 Jahren sehr positiv entwickelt hat. Das bezieht sich nicht nur auf die nackten Marktzahlen, sondern auch auf die Entwicklung der Objekte und die Professionalisierung der Unternehmen beziehungsweise der gesamten Branche – was ja nicht zuletzt an der Plattform „Ramp One“ abzulesen ist.
Trotz des aktuellen Hypes um den neuen „Investors Darling“ ist es sicherlich noch verfrüht, von einer Blase zu sprechen. Was Sie jedoch ansprechen, ist vermutlich der sich abzeichnende Angebotsüberhang. Der Anlagedruck auf die Assetklasse Logistik von Investmentseite ist erheblich und nimmt durch die „Quereinsteiger“, die sich bisher eher in den schwächelnden Segmenten Büro, Einzelhandel oder Hotel aufgehalten haben, weiter zu. Die Auswirkungen der Corona-Lockdowns beschleunigen diesen Trend erheblich.
Die Projektentwickler müssen folglich Produkte, häufig in Form von Spekulationsobjekten, bereitstellen. So hat das Neubauvolumen 2020 – trotz der Pandemie – fast die fünf Millionen Quadratmeter geknackt, das entspricht dem zweitstärksten Jahr überhaupt. Die Frage ist, ob der Logistiknachfragemarkt der potenziellen Mieter hier auf Dauer Bestand hat. Die Logistik ist schließlich eine nachgelagerte Branche und von anderen Wirtschaftssegmenten abhängig. Sie reagiert auch in Krisenzeiten oft zeitversetzt. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, ob die gestiegene Nachfrage des E-Commerce die rückläufige Nachfrage von wackelnden Branchen kompensieren kann – zumal sich Immobilien- und Standortanforderungen deutlich unterscheiden.
Interview
von Tim-Oliver Frische
Das Thema Flächenknappheit ist ein ständiges. Die Nachfrage passt seit Jahren nicht zum Angebot. Können brachliegende Flächen die Lösung der Zukunft sein?
Hier gilt es sicherlich regional zu unterscheiden. Im Süden der Republik und den dortigen Top-Regionen Stuttgart oder München Flächenknappheit mittlerweile schon Tradition. Dort können auch Brownfields – sofern es überhaupt welche gibt – kaum Abhilfe schaffen. In anderen Regionen – dort, wo diese Flächen auch existieren – macht es allerdings absolut Sinn, alte Industriebrachen zu revitalisieren. Diese sind häufig infrastrukturell bereits erschlossen, und es besteht meist Baurecht. Zudem sind die „Nachbarn“ von gewerblicher Nutzung weniger überrascht, folglich sind diese Flächen ideal für die Logistik. Das Ruhrgebiet ist hier im Übrigen seit Jahren wegweisend: Hier entstehen vielfach große Logistikobjekte, ohne „neue“ Fläche zu versiegeln.
Es gibt allerdings auch Regionen, wo das Thema Flächenknappheit noch weniger angekommen ist. Diese zählen auch im letzten Jahr zu denen, in denen am meisten Neubauten zu beobachten waren. Die Top-7-Regionen in Bezug auf Neubauten befinden sich im Norden Deutschlands, drei davon im (Nord-)Osten. Auch hier stellt sich die Frage, ob der regionale Nachfragemarkt in Form von Industrie und Handel mittelfristig potent genug ist, diese Flächen abzumieten.
5 Mio. m²
hat das Neubauvolumen 2020 annähernd erreicht. Das entspricht dem zweitstärksten Jahr überhaupt.
Wie passt das alles zusammen mit der Ansage der Regierung, bis 2030 nur noch 30 Hektar Fläche pro Tag zu versiegeln; derzeit liegen wir ja etwa bei 60 bis 67 Hektar? Die EU verschärft in diesem Zusammenhang nochmals den Ton, wenn sie eine Flächenversiegelung von 0 Hektar pro Tag bis 2050 einfordert.
Der Markt muss hier sicherlich umdenken. Wenn keine neuen Flächen mehr versiegelt werden können oder sogar dürfen, muss man sich mit Alternativen noch wesentlich stärker auseinandersetzen. Aktuell regelt dieses Thema aber weniger die Politik, sondern der Markt.
Mischnutzungen oder mehrstöckige Logistikimmobilien sind vorerst nicht in Regionen zu erwarten, wo der Grundstückspreis noch bei 50 Euro liegt. Die Grundstückspreise hängen an der Nachfrage, was bedeutet, dass in strukturschwächeren Regionen Kommunen nach wie vor eher bereit sind, Logistik anzusiedeln. Da das Vergaberecht nach wie vor in kommunaler Hand liegt, fehlt es hier an Durchgriffsmöglichkeiten seitens des Bundes. Hier existiert tatsächlich ein Dilemma.
In Top-Regionen sieht es anders aus, hier sind die Kommunen deutlich anspruchsvoller: in Bezug auf Nachhaltigkeit des Immobilienkonzepts und die Vorgaben hinsichtlich der späteren Nutzung sowie in Bezug auf den Grundstückspreis. Das fördert natürlich Innovationen, Design und Nachhaltigkeit. Die Four-Parx-Projekte in Hamburg-Wilhelmsburg und München-Kirchheim sind hervorragende Leuchtturm-Beispiele hierfür.
Ein spannendes Thema der EU ist auch der ausgerufene Green Deal. Müssen wir uns hier nicht ehrlich machen und konstatieren, dass Betreiber wie Entwickler oder Investoren zu lax mit dem Begriff CO2-Neutralität in der Öffentlichkeit umgehen?
Ein gutes Pferd springt eben leider nicht höher, als es muss. Das bedeutet, der Druck ist noch nicht stark genug. Ein Fazit unserer aktuellen Logix-Veröffentlichung „Klimabilanz – Impulse für die Logistikimmobilien-Wirtschaft“ ist allerdings, dass alle Neubauten im Logistikbereich klimaneutral errichtet werden sollten. Dies ist bereits heute auch unter baulichen, technologischen und sogar wirtschaftlichen Gesichtspunkten unkompliziert möglich.
Da es teils immer noch an klaren Ordnungsrahmen bezüglich der Messung und der Bilanzierung von CO2 fehlt, lässt das Thema noch viel Raum für im wahrsten Sinne „heiße Luft“. Die Zahl der Projekte, die CO2-neutral sind oder werden könnten, ist leider immer noch verschwindend gering.
„Die Frage ist, ob der Logistiknachfragemarkt der potenziellen Mieter auf Dauer Bestand hat.“
Als ehemaliger Geschäftsführer bei Logivest Concept haben Sie viele Stakeholder beraten. Eines der interessantesten Beispiele ist vielleicht die Zusammenarbeit in Geiselwind mit dem hiesigen Bürgermeister der Samtgemeinde Ernst Nickel. Das Ergebnis daraus ist legendär: das Leuchtturmprojekt von Puma. Denn diese Immobilie ist auf dem besten Weg, die erste CO2-neutrale Logistikimmobilie in Deutschland zu werden. Warum ist es wichtig, transparente Immobilienkonzepte zu entwickeln, die Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Rentabilität vereinen?
Das ist gut mit einer funktionierenden Ehe zu vergleichen! Für Puma war diese Standortentscheidung von Anfang an nicht als kurze Affäre geplant. Hier muss es langfristig zwischen Kommune und Unternehmen stimmen, gegenseitiges Vertrauen muss entstehen. Dazu gehört neben der Transparenz auch, die anfänglichen Versprechen einzuhalten. Gerade bei diesem Beispiel ist davon auszugehen, dass diese Ansiedlung die Kommune in den nächsten Jahren stark prägen wird. Nicht nur optisch in Bezug auf die Immobilie, sondern auch in Bezug auf Umwelt und Bürger vor Ort. Hier entstehen Arbeitsplätze, neue wirtschaftliche Synergien, Infrastruktur und zusätzlicher Wohnraumbedarf. Sowohl Puma als auch Bürgermeister Nickel mit seinem Team haben von Anfang an sehr umsichtig agiert und klug gehandelt, was auch das Ausbleiben von Bürgerprotesten zeigt.
In Ihrer Fraunhofer-Zeit haben Sie viel über die Ansiedlungseffekte von Logistikimmobilien geforscht. Ist die immer noch vorhandene Unkenntnis auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene nicht besorgniserregend – trotz der unumstrittenen Systemrelevanz dieser Assetklasse?
Na ja, „unumstritten“ ist die Systemrelevanz der Logistik nach meiner Einschätzung nicht. Zudem trifft dies auch ehrlicherweise nicht wirklich auf alle Bereiche der Logistik zu. Bezüglich der beschriebenen Kluft spielen zwei Perspektiven eine Rolle: Zum einen hat sich die Logistikbranche in der Vergangenheit vielfach tatsächlich wenig bemüht, wenn es um die kommunale Integration oder bauliche Kompromisse beziehungsweise Innovationen ging. Es ist demnach nicht fair, die Schieflage bei mangelnder Fachkenntnis der Kommunen zu suchen. Zum anderen sollte die Logistikbranche den aktuellen positiven Medienhype, den sie in der überregionalen Presse momentan erfährt, viel stärker nutzen, um einen Fuß in die kommunalen Ämter zu bekommen. Jetzt ist es allerdings noch wichtiger denn je, dabei auch wirklich nachhaltige und innovative Projekte zu platzieren, um diesen Kredit nicht gleich wieder zu verspielen.
Zum Schluss vielleicht ein kleiner Schulterblick, der uns zum Anfang unseres Gespräches führt: Was liegt gerade auf Ihrem Schreibtisch?
Der Schritt hin zur Hochschule bedeutet für mich ganz neue Herausforderungen und Möglichkeiten. Der Umgang mit den Studierenden macht vor allem deshalb Spaß, weil diese an der Dualen Hochschule auch gleichzeitig in tollen Unternehmen arbeiten und somit reale Probleme mit in die Vorlesungen bringen. Noch besser kann man als neugieriger Logistiker nicht „up-to-date“ bleiben.
Meine jahrelange Tätigkeit als Berater werde ich allerdings nicht aufgeben. Gerne setze ich auch in Zukunft mein Fachwissen im Bereich der Logistik, der Logistikimmobilien und -standorte bei Investoren, Nutzern und anderen Unternehmen ein. Auf meinem Schreibtisch liegen demnach neben einem Stapel Seminararbeiten auch bereits ein paar sehr spannende Anfragen.
Andreas Nehm
Prof. Alexander Nehm ist seit Oktober 2020 Professor im Studiengang BWL – Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim. Zuvor war er Geschäftsführer der Logivest Concept GmbH und der Fraunhofer SCS in Nürnberg. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich der studierte Sozialwirt mit Logistikmärkten sowie Logistikimmobilien und -Standorten und berät dabei Verlader, Logistikdienstleister und Investoren. Nehm ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen rund um das Thema Logistikimmobilien und Standorte. Zudem ist er Mitglied im Rat der Logistikweisen. Dem Pfälzer, aufgewachsen an der südlichen Weinstraße, wurden drei große Interessen in die Wiege gelegt: guter Wein, Wandern und der 1. FC Kaiserslautern. Eng damit verknüpft sind seine Charaktereigenschaften: fröhlich und locker, ausdauernd und naturverbunden sowie leidenschaftlich, aber auch leidensfähig. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, auf dem Fußballplatz bei den alten Herren oder in den Bergen.
Prof. Alexander Nehm
ist Diskussionsteilnehmer bei der Digitalen Konferenz für Logistikimmobilienentscheider von Ramp One am 19. Mai.
Sein Thema: Reason Why? Auf einmal Everybodies Darling! Wie nachhaltig ist der Run auf Logistikimmobilien?