Amazon investiert erneut massiv in Deutschland. Im Sommer letzten Jahres kündigte der US-Konzern an, bis Ende 2024 rund zehn Milliarden Euro in den Standort zu investieren, davon 1,2 Milliarden in Robotik, Logistik (hierzu zählen die drei Standorte Großenkneten, Erfurt und Horn-Bad Meinberg) und Unternehmenszentralen. Die Expansion spiegelt einen Trend wider, der sich in ganz Europa abzeichnet: Der E-Commerce gewinnt erneut an Fahrt.
In den vergangenen zehn Jahren hatte der E-Commerce in Europa erheblich zugenommen: Nach dem Rekordhoch in der Pandemie verlangsamte sich zwar das Wachstum im Post-Pandemie-Markt, die Umsätze wuchsen allerdings weiterhin, wenn auch in einem moderateren Tempo. Gleichzeitig gewannen Trends wie Ultra Fast Fashion und Social Commerce an Dynamik. Erste Indikatoren deuten nun auf eine allmähliche Rückkehr zu den Wachstumsniveaus vor der Pandemie hin. Auf Einzelhändlerebene sind in den kommenden Quartalen daher erste Anzeichen für eine beschleunigte Nachfrage nach Logistikflächen zu erwarten.

Gastbeitrag
von Tobias Kassner,
Head of Market Intelligence and Sustainability bei Garbe Industrial Real Estate GmbH
Agilere Logistikstrukturen für ‚neuen‘ E-Commerce
Ultra Fast Fashion bringt Mode in Rekordzeit von der Idee zum Kunden – mit kurzen Lieferzeiten, niedrigen Preisen und schnellen Produktionszyklen. Shein, Europas größter Online-Fast-Fashion-Händler, verdoppelte 2023 seinen Umsatz im Vergleich zu H&M. Die Branche wächst weiter und soll bis 2030 jährlich um 7,5 Prozent expandieren. Social Commerce boomt ebenfalls: Plattformen wie TikTok und Instagram treiben den Verkauf via Influencer an, mit 20,1 Prozent jährlichem Wachstum bis 2029.
Mit dem Aufstieg von Ultra Fast Fashion und Social Commerce hat sich das Einkaufsverhalten verändert: Kunden erwarten heute eine schnelle Verfügbarkeit und sofortige Lieferung von Trendartikeln. Dadurch gewinnt auch die Agilität von Lieferketten zunehmend an Bedeutung. Das hat mehrere Auswirkungen:
Um Lieferzeiten und Kosten zu optimieren, setzen nicht-europäische Anbieter verstärkt auf Logistikzentren in Europa, statt sich ausschließlich auf Luftfracht zu verlassen. Unternehmen wie Shein realisieren bereits Standorte in Europa, um Produkte näher an den Verbraucher zu bringen. Gleichzeitig verlagert sich die Produktion zunehmend in benachbarte Märkte in Süd- und Osteuropa oder in Länder wie die Türkei, Tunesien und Marokko, da ihre geografische Nähe kürzere Lieferzeiten und vor allem geringere Logistikkosten ermöglicht. Allerdings kann die politische Stabilität mancher dieser Länder die Expansion erschweren. Nicht zuletzt rücken dezentrale Lager immer stärker in den Fokus. Vor der Pandemie lieferten Händler ihre Ware fast ausschließlich aus großen Zentrallagern in peripheren Regionen, die nahezu das gesamte Sortiment bevorrateten. Heute nutzen sie zusätzlich auch kleinere Außenlager in der Nähe von Ballungszentren – mit Erfolg, wie das Beispiel Amazon zeigt: Im Jahr 2010 konnte der Konzern mit seinen Standorten rund 3,6 Millionen Menschen in Europa in weniger als 60 Minuten beliefern, 2023 waren es bereits 145,4 Millionen. In den kommenden Jahren dürfte Amazon sein Netz noch weiter nachverdichten. Denn in Ländern wie Frankreich oder Italien gibt es noch immer ‚blinde Flecken‘.
„Kunden erwarten heute eine schnelle Verfügbarkeit und sofortige Lieferung von Trendartikeln. Dadurch gewinnt auch die Agilität von Lieferketten zunehmend an Bedeutung.“

Erreichbare Konsumenten von Amazon-Standorten (Foto: Garbe)
Dezentrale Lager optimieren Zeit und Kosten
Diese Ergänzung von dezentralen Lagerstrukturen begünstigt mehrere Faktoren: Ein wichtiger Treiber ist die Kosteneffizienz. Da auf die letzte Meile mindestens die Hälfte der gesamten Lieferkettenkosten entfallen, spart die Lagerung in direkter Nähe zum Endkunden erhebliche Kosten ein – trotz höherer Mietpreise für innerstädtische Logistikflächen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an präzisen Lieferzeitfenstern. KI-basierte Systeme ermöglichen beispielsweise bei DHL bereits heute eine Zustellgenauigkeit von 90 bis 95 Prozent, sodass Kunden in Echtzeit Updates erhalten und ihre Lieferung flexibel anpassen können. Diese Genauigkeit hat laut einer Umfrage von PwC für 60 Prozent der europäischen Händler die oberste Priorität bei der Zustellung. Der Anspruch wird allerdings immer schwieriger zu erfüllen, da das Paketvolumen kontinuierlich steigt und sich bis 2027 verdoppeln soll. Dezentrale Lager helfen, diese steigende Nachfrage effizient zu bewältigen. Nicht zuletzt spielen sie eine wichtige Rolle im Bereich Nachhaltigkeit. Eine Studie von Oliver Wayman kommt zu dem Schluss, dass der stationäre Handel 1,5- bis 2,9-mal mehr CO₂-Emissionen verursacht als der Online-Handel, da hier Transportwege optimierter sind und Flächen effizienter genutzt werden. Kürzere Lieferwege durch stadtnahe Lager können diese Emissionen noch weiter senken.
Lebensmittel und sperrige Güter treiben Online-Handel weiter an
Neben Fast Fashion und Social Commerce treiben auch die beiden andere Trends im E-Commerce – wie der Online-Lebensmittelhandel und der Online-Handel mit sperrigen Gütern – die Nachfrage nach dezentralen Logistikimmobilien. Der Anteil von Frischwaren am Online-Umsatz in Europa wächst stetig, wodurch auch die Notwendigkeit steigt, Lieferketten und Distributionszentren nah am stadtnahen Raum anzusiedeln. Gleichzeitig boomt der Online-Handel mit großvolumigen Artikeln wie Möbeln bzw. sperrigen Gütern. Auch für diese Waren braucht es stadtnahe Lager, um den Transport zu erleichtern.
Die wieder wachsende Dynamik des E-Commerce verändert die Anforderungen an Logistikimmobilien. Dezentrale Lager rücken in den Fokus, um schnellere Lieferungen zu ermöglichen und Kosten zu senken – trotz höherer Mieten in stadtnahen Lagen. Die Nachfrage nach flexiblen, nachhaltig gestalteten Immobilien steigt, während bestehende Objekte zunehmend an moderne Anforderungen angepasst werden müssen. KI unterstützt dabei vor allem die Effizienzsteigerung in der Flächennutzung und Standortwahl, um Logistiknetzwerke weiter zu optimieren. Künftig dürfte ihre Relevanz noch weiter steigen, denn durch den ‚neuen‘ E-Commerce wird auch die Nachfrage nach schnellerer, flexiblerer Lieferung weiterwachsen.“