Gastbeitrag
von Tobias Kassner
Head of Research, Garbe Industrial Real Estate
Dann kam die Finanzmarktkrise. Sie ist eine Zäsur, die bis heute nachwirkt. Ohne auf die vielen Details und Entwicklungen einzugehen, hat sie dazu geführt, dass sich Industrie- und Logistikimmobilien in Deutschland als Investmentgut durchgesetzt hat. Letztendlich ist auch das daraus resultierende Niedrigzinsumfeld dafür verantwortlich. Diese hat auch das Interesse auf andere Immobilienassetklassen geweckt. Logistik ist aktuell eine der nachgefragtesten Assetklassen, die kaum noch zu bedienen ist. Immer häufiger wird beklagt, dass es kaum noch Flächen gibt. Der Mangel bezieht sich auf:
- Nutz- beziehungsweise Hallenfläche
- Grundstücksflächen für Industrie- und Logistikimmobilien
- und in letzter Instanz auch auf potenzielle Investmentobjekte. Dieser Aspekt soll im Folgenden jedoch ausgeklammert werden.
Mangel an Hallenflächen
Eine Immobilie ist kein Selbstzweck ist, sondern erfüllt eine Aufgabe – hier die Abwicklung logistischer Prozesse. Der grundlegende Bedarf nach geeigneten Flächen ist anhaltend hoch und wird dauerhaft ungenügend zufriedengestellt. 2010 lag der Flächenumsatz in Deutschland noch bei rund 4 Millionen Quadratmeter und hat sich bis 2020 auf 6,6 Millionen Quadratmeter gesteigert. Dies entspricht einer durchschnittlichen Jahreswachstumsrate von 5,1 Prozent. In den letzten Jahren hat sich die Bautätigkeit mehr als verdoppelt (2010: 2,1 Millionen Quadratmeter – 2020: 4,7 Millionen Quadratmeter), kommt aber der hohen Nachfrage nicht hinterher. Der Flaschenhals bildet sich zunehmend aus. Woher kommt diese Nachfrage?
Sicherlich trägt der konstant anteigende E-Commerce nicht zu geringen Teilen zu diesem Anstieg bei. Allerdings muss betont werden, dass auch das Brot-und-Butter-Geschäft der Logistik eine sehr hohe Nachfrage erzielt. Hintergrund ist hier der Wandel in der Industrie 4.0 und der generelle Trend einzelne Bestandteile der Wertschöpfungskette im Produktionsprozess in die Logistik auszulagern. Die Diskrepanz zwischen Nettoneuflächenzugang und Flächenumsatz als die Summe von Vermietungen und Eigennutzerumsatz steigt seit Jahren. Verfügbaren Flächen sind immer seltener vorzufinden. Zwar gibt es keine flächendeckenden und verlässlichen Zahlen zur Leerstandsquote, aber eine allgemein akzeptierte Daumenpeilung von marginalen rund 2 Prozent verdeutlicht die prekäre Lage.
Mangel an Grundstücksflächen immer prekärer
Jede Logistikansiedlung benötigt ein entsprechend geeignetes Grundstück. Doch nicht jede Liegenschaft ist dazu geeignet. Optimal wäre ein Industriegebiet mit einer ganztägigen Nutzbarkeit an jedem Tag der Woche (24/7) ohne Lärmauflagen. Ein Autobahnanschluss nahezu unmittelbar neben einer Autobahnauffahrt oder zumindest in wenigen Fahrminuten ohne Ortsdurchfahrt erreichbar und ohne Nähe zu Wohngebieten wird favorisiert. Aber auch Gewerbe- und Sondergebiete mit entsprechenden Qualitäten und geringen Auflagen stehen hoch im Kurs.
Aber angesichts der hohen Nachfrage sind geeignete Flächen zunehmend rar. Einerseits werden immer seltener Flächen neu ausgewiesen. Und falls doch sind die Genehmigungs und Planungsprozesse langwierig und mit hohen Hürden gekennzeichnet. Diese Hürden stammen nicht von ungefähr, sondern sind das Resultat bewusster regulatorischer Beschränkungen der Flächenversiegelung. Während in Deutschland die Flächenversiegelung von aktuell rund 63 Hektar pro Tag bis 2030 auf nur noch 30 Hektar pro Tag reduziert werden, geht die EU-Kommission weiter: Bis 2050 soll die Flächenversiegelung auf eine Nettonull reduziert werden. All dies führt dazu, dass der Mangel an Grundstücken sich nicht in absehbarer Zeit auflösen wird.
Gesucht: Neu Flächen für Logistikimmobilien
Auch nach der aktuellen Pandemie ist nicht davon auszugehen, dass sich die hohe Flächennachfrage im Logistiksektor grundlegend ändert. Im Gegenteil, die Industrieproduktion ist bereits jetzt wieder gut angelaufen. Wichtige Sektoren wie der Automobilindustrie haben die strukturellen Herausforderungen der Zukunft selbstbewusst angenommen, zumal die letzten Geschäftsquartale aufgrund hoher Nachfragen zum Beispiel aus dem asiatischen Raum sehr gut ausgefallen sind. Hinzu kommt der E-Commerce-Boom, der weiter anhält, da viele Menschen in der Pandemie die Bequemlichkeit dieser Versorgungsform zu schätzen gelernt haben. Dies auch in Sektoren wie dem E-Food, einer Spielart des E-Commerce, die es bis dato schwer hatte. Dies kalkuliert auch bulwiengesa in Projektionen des Flächenbedarfes, der von jährlich 6 bis 7 Millionen Quadratmeter Nutzfläche pro Jahr ausgeht – bei einer jährlichen Bauleistung von lediglich rund 5 Millionen Quadratmeter. Ist dieser Flächenbedarf angesichts dieser Annahmen überhaupt zu erfüllen? Dies kommt darauf an. Bei der Suche und bei der Bereitstellung müssen neue Wege, neue Strategien und auch ein „neuer Wille“ entwickelt werden.
Maßnahme 1 – Brownfields
Die Strategie Brownfields, also vorgenutzte beziehungsweiseaus der Nutzung herausgefallene Flächen zu nutzen, ist nicht neu. Allerdings wird die Strategie von immer mehr Marktakteuren verfolgt, sodass hier immer mehr über den Tellerrand geschaut werden muss. Während früher vor allem Industrie- oder Bahnbrachen genutzt wurden, werden mehr und mehr alle möglichen Quellen wieder in Wert gesetzt. Hierzu gehören auch ehemalige Abbaugebiete und Steinbrüche, Deponien und militärische Konversionsflächen. In urbanen Lagen können zudem geschlossene Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie kommunale Infrastrukturen genutzt werden. Büroflächenüberhang gibt es derzeit so gut wie kaum, sodass hier kaum Impulse zu erwarten sind. Zukünftig kann sich das Bild ändern. Viele Konzerne haben in der Pandemie das Konzept des Home Office zu schätzen gelernt und erwägen darüber Flächenbestände abzubauen. Wird dieses Instrument wirklich in umfassendem Maß genutzt, dann könnten wieder Leerstände entstehen. Auch Handelsobjekte, die einerseits durch E-Commerce und andererseits durch die verschiedenen Lockdowns in Bedrängnis geraten sind, können eine Quelle urbaner Brownfields darstellen.
Der deutsche Gesamtbestand an Brownfields wird auf rund 150.000 Hektar geschätzt, könnte also ein großes Entlastungspotenzial entfalten. Wer genauer drauf schaut bzw. drauf schauen möchte, merkt schnell, dass hier viel Detailwissen fehlt. Vollständige Kataster, die öffentlich einsehbar sind, wären für die Marktteilnehmer äußerst hilfreich, um geeignete Flächen schneller identifizieren zu können. Sofern überhaupt vorhanden, sind solche Kataster aber meist nur von den Planungsbehörden einsehbar.
Gleichzeitig ist die Nutzbarmachung von Brownfields häufig schwer. Zum einen sind die Areale meist kontaminiert (Altlasten, Munition u.v.m.). Zum anderen sind häufig massive ober- und unterirdische Strukturen verbaut. Eine umfassende Dekontamination und Räumung sind notwendig. Diese Maßnahmen sind nicht nur äußerst kostenintensiv, sondern für die Beteiligten mit vielen Risiken versehen und langwierig. Hier wäre eine umfassende Unterstützung bei Planung, Genehmigung und Finanzierung hilfreich, zumal die Inwertsetzung ehemalig kontaminierter Flächen ein Dienst für das Allgemeinwohl darstellt.
Als Entlastung für den allgemeinen Flächenengpass sind Brownfields wichtig, können allerdings nicht immer eine Lösung darstellen. Denn Brownfields sind nicht überall vorhanden. Daher reicht diese Lösungsansatz nicht aus und es müssen weitere Maßnahmen ins Feld geführt werden.
Maßnahme 2 – Smarte Inventarisierung und bedarfsangepasste Ausweisung
Der Vergleich zwischen einem Raumordnungsprogramm (ROP) bzw. einem Flächennutzungsplan (FNP) mit der real verbauten Oberfläche verdeutlicht das Dilemma: Im Plan sind mehr Potenzialflächen ausgewiesen als in der Realität verbaut wurden. Auch das aufmerksame und geschulte Auge findet bei Google Maps und Co. schnell geeignete Areale, die noch unbebaut sind. Woran liegt das? Viele zu Grunde liegende Planwerke werden in Rhythmen von Dekaden bearbeitet und aktualisiert. Der Markt tickt jedoch schneller und hat eigene Vorstellungen von dem, was an Standorten favorisiert wird. Im Verlauf der Zeit bleiben an vielen Stellen Grundstücke trotz Bedarfsdrucks langfristig unvermarktet, obwohl hier ein entsprechendes Planrecht vorhanden ist. An anderer Stelle entsteht Flächenbedarf, es sind jedoch keine Flächen mehr verfügbar.
Vor nicht wenigen Jahren bestanden die Planwerke noch aus voluminösen Papierbänden, die höchstens verwaltungsintern an nicht öffentlich einsehbare digitale Kataster und Register gekoppelt waren. Eine volldigitalisierte und nachgehaltene Inventarisierung aller öffentlich und privat gehandelter Grundstücke beziehungsweise der aufstehenden Anlagen wurde nicht vorgehalten. Viele Kommunen wussten daher nicht einmal, wie viel Flächenbestände in ihrem Planungsbereich existieren. Auch verfügbare Flächen wurden nicht zentral vorgehalten, sondern fristeten in Exceltabellen einzelner Gemeinden einen nicht verarbeitbaren Datenschatz.
Hier gilt es in Zukunft anders vorzugehen: Auf Basis einer digitalisierten Flächenvollerhebung muss zunächst eine Grundinventarisierung durchgeführt werden. Im Optimalfall werden dabei auch Potenzialflächen erhoben, die anschließend mit dem Planungsrecht abgeglichen werden. In nicht wenigen Fällen können hierdurch grundsätzlich geeignete Flächen identifiziert werden. Ob diese jedoch logistisch nutzbar sind, hängt von vielen zu prüfenden Einzelfragen ab. Auch wenn kein Planungsrecht vorliegt, kann dieses mitunter erwirkt werden. Dieses Ansinnen ist jedoch längst nicht in jedem Fall erfolgreich und im Regelfall mit langwierigen Prozessen verbunden.
Die durch die Grundinventarisierung ermittelten Bestands- und Potenzialflächen können bei angrenzenden Kommunen zudem genutzt werden, um bedarfsorientierte, interkommunale Neuausweisungen anzustoßen. Die Flächenversiegelung kann durch Verhinderung von Doppelausweisungen vermieden werden. Gleichzeitig können Flächen, die nach ROP oder FNP eine planungsrechtliche Eignung haben, aber keine Markteignung haben, aus dem ROP und FNP herausgenommen werden. Neuausweisungen an anderer Stelle können dadurch einfacher argumentiert werden, da die Gesamtfläche laut Ausweisung identisch bleibt.
Maßnahme 3 – Gewerbliche Flurbereinigung
Besonders in älteren, städtischen Gewerbegebieten hat sich im Verlauf der Dekaden eine Gemengelage verschiedener Gewerbeansiedlungen ergeben. Verschiedenste Branchen mit unterschiedlichsten Flächenansprüchen haben zu stark parzellierten Ansiedlungsmustern geführt. In einigen Fällen sind Unternehmen in die Insolvenz gegangen oder wurden durch Unternehmenskäufe und Zusammenlegungen obsolet. Flächen wurden ganz oder in Teilen neu vermietet oder weiterverkauft. Gerade in früheren Zeiten war es üblich Reserveflächen für Expansionen vorzuhalten, die im Bedarfsfall hätten bebaut werden können – aber nie wurden. In Summe sind solche Gewerbe- und Industrieunternehmen untergenutzt und könnten effizienter verwendet werden. Das Problem ist, dass die Parzellen nicht im Eigentum der Kommunen sind, sondern in der Hand von vielen Einzeleigentümern.
Hier macht es Sinn ganz neu anzusetzen. Kann es helfen, wenn in solchen Fällen ein moderiertes Verfahren einsetzt, um Flächen bedarfsorientiert zu reorganisieren? Nutzer, deren Flächenbedarf geschrumpft oder sich nicht entwickeln haben wie ursprünglich erwartet, könnten Flächen abgeben. Freie Flächen könnten zu marktgerechten neuen Flächen zusammengelegt werden und auch für logistische Zwecke neu eingesetzt werden. Dies zumindest, wenn die Lagequalität hierfür sinnvoll ist.
Dieser Ansatz klingt etwas nach Flurbereinigung, die neben all ihren positiven Aspekten auf viel Kritik erfahren hat. Aber letztendlich geht es darum die endliche Ressource Bauland bedarfs- und marktgerecht neu zu sortieren und unnötigen Flächenverbrauch durch Neuausweisungen zu verhindern. Ein solches Verfahren ist bis dato in weiten Teilen und in größeren Maßstäben Neuland und müsste erst in Theorie und Praxis entwickelt werden.
Maßnahme 4 – Neues Mindset aller Stakeholder
Keine wirkliche Maßnahme, aber häufig notwendig: Bei vielen Stakeholdern muss sich in Bezug auf Logistik ein neues Mindset einstellen. Generell wird unterstellt, dass Logistik keine Arbeitsplätze generiert und ausschließlich ein reiner Flächenverbraucher ist. Viel lieber wird auf den „weißen Ritter“ produzierendes Gewerbe gewartet. Nur: Die Zeit der großen Ansiedlungen in der Industrie und Fertigung ist vorbei. Die Industrie 4.0 lässt die Arbeitsproduktivität durch einen effizienten, kompakten und vor allem smarten Maschinenpark steigen und den Flächenbedarf sinken. Teile der Wertschöpfungskette werden dagegen eher ausgelagert – zum Beipsiel an Logistikdienstleister. Hier werden durchaus wertvolle Arbeitsplätze geschaffen. Nicht überall hat sich herumgesprochen, dass Logistik eine Hightechbranche ist und sich von der Lagerei unterscheidet. Es scheint, dass es einfach ist, eine Lobby für Wohnimmobilien wie beispielsweise das Bündnis für Wohnen ins Leben zu rufen. Ein Bündnis für Logistik dagegen sucht man vergebens. Dies muss sich in Zukunft ändern, es wird ein neues Mindset benötigt.
Wirklich keine Flächen mehr?
Fakt ist, dass das Angebot an industriell-gewerblich nutzbaren Flächen sinkt. Man kann aber nicht sagen, dass keine Flächen mehr verfügbar sind. Vielmehr müssen neue Möglichkeiten in der Suche und der Herbeiführung von Flächen gefunden oder geschaffen werden. Hier sind alle Stakeholder gefragt, um am gleichen Strang zu ziehen. Wichtig ist die gemeinsame Feststellung, dass Logistik einer der wichtigsten Wachstumsbranchen ist und immer noch viele neue Arbeitsplätze aufbaut. Dies muss stärker gewürdigt und unterstützt werden, zum Beispiel mit entsprechenden Flächen.